Ich liebe mein Zuhause. Das Leben auf dem Land, abseits von Stadtlärm, Menschenmassen und Trubel. Kurz vor der bevorstehenden Reise immer dieselbe teuflische Stimme, die mir heuchlerisch in den Ohren liegt: „Was hast du dir da nur wieder eingebrockt? Hawaii? Wer will denn schon nach Hawaii? Canceln. Alles absagen! Hierbleiben!“
1. Ich bin nicht der Typ fürs Reisen – viel zu gerne bin ich zu Hause!

Und packen, packen muss ich auch noch. Rollkoffer und Kamerarucksack? Oder doch lieber der große Trekkingrucksack und für die Fotoausrüstung eine Schultertasche. Das obligatorische Kamera-Equipment-Transport-Problem, es soll wohl auch dieses Mal wieder ungelöst bleiben. Viel zu früh am Flughafen. Müde. Ein Vanilla Flavor Latte. Warten. Ein Chai Tea Cocos Flavor Latte. Warten. Ein Caramel Flavor Latte. Warten. Im Flieger: zu viel Koffein, eine volle Blase und die Flugangst, die mich vom Schlafen abhalten – ganz im Gegensatz zu meinem in Träumen und leider auch tief und fest im Sitz versunkenen Nachbarn …!
2. Ich bin nicht der Typ fürs Reisen – zu unentspannt!

Den Ringkampf mit der Stimme, die mir verbietet, den Schlafenden neben mir zu wecken, verliere ich. Niemals würde ich meinen gänzlich unbekannten Sitznachbarn von der Seite anquatschen, geschweige denn aufwecken. Überhaupt bin ich selbst so ziemlich der verklemmteste Mensch, den ich kenne. Meine Devise: Lieber zehn mal im Kreis laufen als nach dem Weg zu fragen. Fremde Leute ansprechen? Nä! Was die dann von mir denken könnten? Und mein Englisch – wäre das grammatikalisch so überhaupt richtig?
3. Ich bin nicht der Typ fürs Reisen – viel zu unkommunikativ!

Diese Fliegerei – der pure Horror! Die Angst um meine geliebte Kamera und die Wertsachen nimmt manchmal fast schon paranoide Züge an, meine best gehütetsten Geheimnisse sind Handy- und Zimmernummer. Und rückt mir dann doch jemand zu sehr auf die Pelle, kann ich echt zum Arschloch werden.
4. Ich bin nicht der Typ fürs Reisen – viel zu ängstlich!

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Doch dann, dann drückt mir diese Frau, nachdem ich verzweifelt versucht habe an der Ami-Tanke meinen Dodge wieder aufzutanken, lächelnd ihre Kreditkarte in die Hand: „Take mine, yours won’t work!“. Dann spreche ich in dieser Bar in Sydney – zugegeben nach minimal ein, zwei Schlückchen Bier – das Englisch meines Lebens, lädt mich dieses Ehepaar auf einer hawaiianischen Rinderfarm zum Steak ein, einfach so. Und ich sage zu, einfach so.
Oder dieser graubärtige Hippie im Koke’e State Park auf Kauai mit dressiertem Huhn und grandiosen Fotografie-Tipps – ein recht bekannter Fotograf und Verleger, wie sich später herausstellt.
Dann versucht dieser zehnjährige, australische Junge, mir in den Wellen am Manly Beach das Surfen beizubringen, zwei Mädels – sechs und acht Jahre alt – kommen strahlend auf mich zugerannt, wollen mir selbstgemachte Limo verkaufen. Ein Dollar der Becher, und die Honolulu-Insider-Tipps von Mama gibts gratis dazu.
Ich finde mich selbst wieder, gedankenfrei, im Helikopter über Kauai, am Kraterrand eines brodelnden Vulkans, zwischen Himmel und Erde über Neuseelands Südinsel oder zusammen mit etlichen fremdartigen Kreaturen in der Unterwasserwelt des Great Barrier Reef. Und ich spreche, tanze, fotografiere, schwimme, surfe, springe, schreie, fliege, träume, tauche, atme, genieße! Und ich denke nichts, einfach so.

Das ist es, was das Reisen mit mir macht. Diese vielen kleinen Momente, die einfach so passieren und es immer wieder schaffen, mich heimlich aus der Schublade zu locken, in die ich mich zuvor selbst gesteckt habe. Sie sind es, die mich – gerade zurück Zuhause – sofort wieder neue Reisepläne schmieden lassen.
Letztlich: Ich bin nicht der Typ fürs Reisen – doch dann, dann reise ich …

One thought on “Was das Reisen mit mir macht!

  1. Hallo Claudi,
    für ängstlich und kontaktscheu bist Du aber schon massiv viel rumgekommen…
    Aber irgendwie macht es ja gerade die Erlebnisse zu etwas ganz Besonderem, wenn man über den eigenen Schatten springt und sich selbst übertrifft.
    Liebe Grüße
    Tabitha

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