„Sydney. Sie ist die älteste, größte, aufregendste und vermutlich schönste Stadt Australiens, und die Lebensfreude ihrer rund vier Millionen Bewohner wirkt auch auf ihre Besucher ansteckend. Sie ist nicht nur Hauptstadt des Bundesstaates New South Wales, sondern auch das wirtschaftliche und kulturelle Zentrum, die heimliche Hauptstadt des Fünften Kontinents. Ihre Lage an den Ufern des atemberaubenden Naturhafens Port Jackson findet auf der Welt kaum ihresgleichen. Sydney or the bush!“

So oder in ähnlicher Form wird vielfach über die Stadt mit Beinamen wie „Harbour City“ oder „Emerald City“ gesprochen. Die Lobpudelei nimmt schier kein Ende! Doch anders als die meisten anderen Urlauber, die es überall ganz selbstverständlich schön finden, wo man dem allgemeinen Gerede nach unbedingt gewesen sein muss, stehe ich auch solchen Hochkarätern wie Sydney erstmal kritisch gegenüber. Gerne bin auch ich bereit, mich anstecken zu lassen, aber ich will überzeugt werden.

Schon am Flughafen in Frankfurt habe ich die Münchnerin Nicole kennengelernt, die genau wie ich einige Monate in Sydney verbringen wird, allerdings sehr zentral gelegen in einem Wohnheim unterkommt. Mit ihr habe ich mich heute Downtown verabredet. Ich kanns kaum erwarten, mir meinen ganz persönlichen ersten Eindruck vom New York Australiens einzuholen.


An Deck einer der kultigen, grün-gelben Sydney Ferries schippere ich also an diesem ungewöhnlich warmen, sonnigen Oktobertag bei ruhiger See zum ersten Mal von Manly, vorbei an den Klippen von North Head, in Richtung Circular Quay. Fahrtwind und spritzendes Bugwasser hinterlassen hin und wieder einen angenehm kühlen Schauder auf meiner Haut. Noch bevor die Fähre Bradleys Head am mittleren Hafengebiet passiert, erhebt sich in der Ferne die Skyline des Central Business District (CBD) vor mir. Großartig. Doch die besagte Landzunge einmal umschifft bietet sich mir ein Anblick, der eindrucksvoller nicht sein könnte. Zwei riesige Bögen aus einem Geflecht von Stahlverstrebungen überspannen die tief in das Land eindringende Meeresbucht und verbinden die nördlichen Vororte Sydneys mit dem CBD. Die Harbour Bridge im Rücken, ziehen kleine Segelboote ihre Bahnen im türkisblauen, funkelnden Wasser des Südpazifiks.

Zunächst unauffällig, der imposanten Kulisse vermeintlich bescheiden weichend, scheint es mit gesetzten Segeln den Hafen anzulaufen. Je geringer die Entfernung, desto mehr bestimmt es das Hafen-Panorama. Es ist ein Meisterwerk der Baukunst, Teil des UNESCO-Weltkulturerbes. Es ist das Wahrzeichen der Stadt … es ist Sydneys einzigartiges Opernhaus. Zeit für mich, meinen Platz an der Reling zu behaupten, denn spätestens jetzt stürmen die letzten Passagiere aus dem Inneren des dampfenden Bootes ebenfalls nach draußen – in der Hoffnung, dieses überragende Bild in eine kleine Digitalkamera packen zu können. Wohl vergebens!

The sun did not know how beautiful its light was, until it was reflected off this building.

Louis I. Kahn, amerikanischer Architekt, 1901-1974

Die Fähre braust geradewegs auf die Harbour Bridge zu. Die kleine Hafeninsel Fort Denison lassen wir hinter uns, das Opernhaus scheint jetzt zum Greifen nah. Wie auf einer Bühne, der Stadt vorgelagert, thront es auf einer kleinen, in den Hafen hineinragenden Halbinsel. Die Dachsegel, mit glasierten, weißen Keramikfliesen überzogenen, schimmern strahlend hell im Sonnenlicht und werfen im selben Augenblick tiefe Schatten. So zeichnet die Sonne die unvergleichlichen Formen des Sydney Opera House in den Himmel. Geschickt manövriert unser Boot von Nord-Osten kommend in einem Halbkreis um die kleine Landzunge herum und nimmt direkten Kurs auf Circular Quay. Noch bevor wir an Wharf No. 3 anlegen, und ich Sydneys festen Boden unter den Füßen habe, steht für mich fest, das ist meine Stadt!

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Ich treffe Nicole an der Wharf, startbereit für eine kleine Erkundungstour durch Sydney. Doch es fällt uns schwer, das große Wasser zu verlassen und uns auf all das zu konzentrieren, was abseits der Hafengegend noch geboten wird. Das quirlige Treiben um Circular Quay hat uns bereits aufgesogen und ehe wir uns versehen, sind wir mittendrin im bunten Potpourri aus kitschigen Souvenirs und indigener Kunst, moderner Architektur und Naturhafen, aus Schlipsträgern, Hippies und Straßenkünstlern. Der Zeit gänzlich entrückt lauschen wir der Musik zweier Aborigines, die auf beeindruckendste Art und Weise die traditionellen Klänge des Didgeridoos mit elektronischen House-Beats kombinieren, und schlendern dann weiter am Quay entlang hinüber zum ältesten Stadtviertel mit Namen The Rocks. Die felsige Landzunge westlich von Circular Quay war im Jahre 1788 Ausgangspunkt der ersten Kolonialisierung in Australien. In den aufwendig restaurierten Sandsteingebäuden befinden sich heute Shops, Galerien, Pubs und Restaurants. Wo einst die Zelte britischer Strafgefangener und ihrer Aufseher standen, ist jetzt das Overseas Passenger Terminal, Anlegestelle für luxuriöse Ozeanriesen wie die im Moment vor Anker liegende MS Pacific Princess.

Mit einer kleinen Shopping-Tour durch die Pitt Street Mall lassen Nicole und ich schließlich unseren gemeinsamen Tag im CBD entspannt ausklingen. So schaffen wir es also doch noch – wenn auch nur für eine kleine Weile –, uns vom wunderschönen Port Jackson loszureißen. Es gibt hier ganz offensichtlich noch allerhand für mich zu entdecken, und ich bin froh, dass mir in den kommenden sechs Monaten noch jede Menge Zeit dafür bleibt.

Ihrem Spitznamen „Harbour City“ hat Sydney heute alle Ehre gemacht. Auf der Rückfahrt nach Manly – in grüner Fähre auf tiefgrünem Ozean, umgeben von mit dichtem Grün bewachsenen, kostbaren Naturschutzgebieten – bringt die Sonne das Meer zum letzten Mal zum Funkeln, bevor sie hinter den gläsernen Wolkenkratzern des CBD verschwindet. Jetzt zeigt sich die Stadt in tausend Lichter getaucht und ihre Reflektionen zaubern einen schillernden Glanz auf die Wasseroberfläche: „Emerald City – Smaragdstadt!“

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