Es war Mitte Juli. Meine Wanderkollegin Claudia hatte die Gipfelbesteigung des höchsten Berges Vorarlbergs, der Schesaplana, ausgeheckt und geplant. Sie ist die bessere Bergziege von uns beiden. Trittsicherer, mutiger … und Kletterpassagen? Immer wieder gerne. Während bei mir solch Kraxeleien frühzeitig den Vorspann zum Kopfkino auslösen. Sagen wir’s, wie es ist: Ich bin ein Schisser!
Tag 1: Aufstieg über den Leibersteig
Was es auch ist, es zieht mich und meine offensichtliche Höhenangst immer wieder in Berge. Und so starteten wir zu viert im österreichischen Brand … Tagesziel – die Mannheimer Hütte auf 2679 Metern Höhe. Ich hatte schon einige Geschichten über den dorthin führenden Leibersteig gehört. Zu viele Schauermärchen, die mir genug Respekt einflößten, um sicherheitshalber ein Klettersteigset in meinen ohnehin viel zu vollen Rucksack zu stopfen. Alleine die Kamera füllte ihn mal wieder bis zur Hälfte. Das Wetter spielte mit und kurz vor der Oberzalimhütte hatte ich mich so eingewandert, dass ich dem noch bevorstehenden Aufstieg über den Leibersteig für meine Verhältnisse fast schon optimistisch entgegenblickte. Aber eins nach dem anderen. Zurücklehnen und runterscrollen …
Ja, ja … da war die Welt noch eine idyllische Vorarlberger Berghütte: Vom Parkplatz der Palüdbahn im österreichischen Brand aus waren es gerade mal dreieinhalb entspannte Wald- und Wiesenkilometer durchs Zalimtal bis zur Untere Brüggele Alpe. Der Blick von der Hochebene reicht bis weit nach hinten in den Talkessel zum 2859 Meter in den Himmel ragenden Panüeler Kopf. Und was uns dort noch erwarten sollte, wusste bis dato niemand …Die Oberzalimhütte – letzte Station vor dem Einstieg zum Leibersteig, der sich nun in seiner ganzen Pracht in Form der blanken Nordwand des Panüeler zeigt. Die etwas längere Alternativroute wäre der Straußsteig, der im Gegensatz zum schmalen, gerölligen Leibersteig eher als typischer Klettersteig einzustufen ist. Immer wieder checkte Hüttenwirt Matthias Schatz mit Fernglas bewaffnet Steilrinnen und Schneefelder entlang des Weges, um sicher zu gehen, dass alle Bergwanderer heil oben am Grat ankamen.
„Einige Altschneefelder san scho no da. De Gurt brauchts aber net. D’Seile san no unterm Schnee vergrabn. Isch nur Kopfsach, des schaffts scho! “
Hüttenwirt Matthias Schatz
Wir erkundigten uns nach der aktuellen Wegbeschaffenheit – eigentlich mehr pro forma. Ich war ja „safe“ mit dem Gurt. Pfffhh, denkste! Altschneefelder? Drahtseile unterm Schnee? Als ob ich nicht selbst wüsste, dass es lediglich Kopfsache ist, verdammte Scheiße! Optimismus ade. Da war er wieder der innere Schweinehund. Und er bellte und fluchte und schimpfte lauter denn je.
Der Leibersteig beginnt. Bezeichnend, die Körperhaltung der drei Grazien am Berg. Vorneweg in Gelb (ich), immer zur Wand geneigt und festkrallen wo geht. Claudi in Blau, selbstsicher aber stets mit Bedacht. Schlusslicht Eva, locker spazierend mit frei umherschweifendem Blick.
(Foto: Tobias Weber)Die ersten Kletterpassagen und Altschneefelder lassen wie befürchtet nicht lange auf sich warten. Zur Linken, nichts als Nichts. 200–300 Meter tiefer liegen die weiten Karen des Oberzalimtales. Stolperer kann man sich hier kaum leisten.
(Foto: Tobias Weber)Der Schnee ist glücklicherweise griffig und bietet genügend Halt, vereiste Stellen sind rar. Mein persönlicher Dank gilt an dieser Stelle allen Vorläufern für die hervorragende Spurarbeit. Ebenfalls dankbar bin ich für jeden Meter Seil, der es aus dem Winterschlaf geschafft hat.
(Foto: Tobias Weber)Nach dem anspruchsvollen Aufstieg über den Leibersteig durch die mit Schneefeldern durchzogene Schattenseite des Panüeler Kopfs ist das Tagesziel zum ersten Mal in Sichtweite. Geschafft! Der Anblick der Mannheimer Hütte kommt dem Glücksgefühl einer Gipfelbesteigung gleich. Sie steht in abenteuerlicher Lage auf 2679 Metern Höhe direkt am Grat zwischen Panüeler und Wildberg. Der perfekte Ort, um Kraft zu tanken für die bevorstehende Besteigung der Schesaplana.Es ist der Blick zurück auf die Strapazen der letzten Stunden. Über die Altschneefelder des Leibersteig haben wir’s hinauf zur Mannheimer Hütte am Fuße der Schesaplana geschafft. Nicht nur Beine, Oberschenkel und Arschbacken waren gefordert. Vor allem der Kopf, in dem sich sämtliche Bergsteiger-Horrorszenarien auf Dauerschleife wie ein Tinnitus ins Gehirn ritzten. Mit dem goldgelben Sonnenball am Horizont fällt jetzt auch die ganze Anspannung ab. Der Tinnitus verschwindet, die Ruhe bleibt. Und mit ihr das schönste, leichteste und entspannendste Bergpanorama ever …Tag Eins neigt sich dem Ende zu. Der Weg weiter auf die Schesaplana führt über den Brandner Gletscher zum Schesaplanakamm und entlang der Schweizer Grenze bis hinauf zum Gipfelkreuz auf 2964 Meter. Die Aussicht auf den Gipfel ist rosig. Der übertrieben hohe Endorphinspiegel nach dem anstrengenden Aufstieg tut sein Übriges, sodass wir mit dem Blick durch die rosarote Brille dem morgigen Gipfeltag optimistisch entgegenfiebern.
Etappe 1 im Überblick
Von der Talstation der Palüdbahn in Brand bis zur Mannheimer Hütte
Anfahrt
Individuelle Anfahrt nach Brand in Vorarlberg. Kostenlose Parkmöglichkeiten sind am Ortsende auf dem Parkplatz der Palüdbahn vorhanden. Mehr Infos zum Brandnertal unter www.vorarlberg-alpenregion.at
Bis zur Untere Brüggele Alpe ist die Route nicht sehr anspruchsvoll. Anfangs führt ein schmaler Waldweg entlang dem Gebirgsbach hinauf zur besagten Alpe und der Hochebene mit ihren malerischen Almwiesen. Der Fürkelesteig erfordert etwas mehr Konzentration, ist aber auch nicht weiter problematisch. Erst der Leibersteig hoch zur Mannheimer Hütte hat es in sich. Mir haben einige doch schon sehr ausgesetzte Stellen, Schneefelder und Kraxeleien über Felsvorsprünge einiges abverlangt. Mit Altschneefeldern muss immer gerechnet werden, da sich der schmale Pfad durch die Schattenseite des Panüeler Kopfs zieht. Leichtsinn ist hier für mein Empfinden absolut unangebracht!
Unterkunft
Die Mannheimer Hütte ist ab Ende Juni bis Mitte September geöffnet. Es ist zu empfehlen, vor jedem Besuch die aktuelle Lage abzufragen und in jedem Fall zu reservieren. Infos und Reservierungen unter www.dav-mannheim.de
Tag 2: Gipfeltag
Am Morgen des zweiten Tages machte mir die bevorstehende Gipfelbesteigung der Schesaplana wenig Sorgen. Anstrengend kann ich. Anstrengend, steil und ausgesetzt … da wird’s dann problematisch. Der Einstieg zum Ostaufstieg, der von der Totalp herführt, sollte unseren Abstieg markieren und gleichzeitig unseren kurzen Abstecher in die Schweiz beenden. Die Drahtseile am Zugang zum Steilhang wurden erneut von Schnee verschlungen. Während Eva mit zwei schwungvollen großen Schritten vorwärts-abwärts die Stelle … zack … überwand, gab ich rückwärts auf den Knien das Kleinkind. Ob auf Knien, Skiern oder dem Hosenboden. Hinunter kommen se dann alle …
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Der Brandner Gletscher ist als spaltenfrei bekannt und normalerweise problemlos zu überqueren. Entgegen der Regel, schneebedeckte Gletscher nur in Seilschaft zu begehen, kann hier also getrost darauf verzichtet werden. Je nach Ausaperung können Steigeisen von Vorteil sein, um auf der bloßen Eisdecke nicht ins Schlittern zu geraten. Hier einfach kurz vor dem Tourenstart beim Wirt der Mannheimer Hütte anrufen.Den Schesaplanasattel in Richtung Osten passierend ist der Gipfel zum Greifen nah. Der letzte Anstieg schlängelt sich über eine Schotterhalde steil aber gefahrlos nach oben.
(Foto: Tobias Weber)Und dann war es geschafft. Unsere Namen verewigt im Gipfelbuch des höchsten Berges Vorarlbergs. Das ungetrübte Panorama über den türkis strahlenden Lünersee und die umliegenden Gipfel des Montafon könnte klarer nicht sein.Der steile Abstieg beginnt an der Landesgrenze zurück nach Österreich. Im Halbkreis zieht sich die Rutschpartie entlang des Südhangs des in nordöstliche Richtung verlaufenden Verbindungsgrats Schesaplana–Felsenkopf hinab zur Totalphütte. Mit entgegenkommenden Wanderern und Skitourengehern muss gerechnet werden.
„Im Jänner 2019 wurde die Totalphütte auf 2.385 m im Rätikongebirge durch eine Staublawine fast zur Gänze zerstört. Mit vereinten Kräften werden wir versuchen, die Alpenvereinshütte am Fuße der Schesaplana wieder zu errichten.“
Die Überquerung des Brandner Gletschers ist unproblematisch. Entlang der Schweizer Grenze beginnt dann der Aufstieg zum Gipfel über gerölliges Terrain. Keine technische, vielmehr eine konditionelle Herausforderung. Den Südhang einer hufeisenförmige Hochmulde zwischen Schesaplana und Felsenkopf querend führt der zu Beginn sehr steile Abstieg zur Totalp über viel Schnee und Schotter. Ab der Totalphütte bleibt der Weg entspannt – auch der Böse-Tritt ist gar nicht mal so böse wie er tut.